Lehrstrategien in digitalen Lernsettings
DTB-Ratgeber: Das Modell des „Flipped Classroom“
Lehren und Lernen sind schon immer ein untrennbares Duo. Seitdem sich Menschen damit beschäftigen, wie man lehrt und lernt gibt es Diskussionen darüber, wie dieser Dialog zwischen Lehrendem und Lernenden „am besten“ zu gestalten ist. Es wurden wissenschaftliche Lerntheorien entwickelt, darüber geforscht wie Menschen lernen, Lehrer*innen wurden in Lehrtypen, Schüler*innen in Lerntypen kategorisiert usw. Allem gemeinsam ist das Bestreben danach einen Weg zu finden, relevante Informationen aus der Umwelt im Lernenden als nutzbares Wissen zu verankern und darüber hinaus, dieses Wissen in relevanten Situationen in Verhalten auszudrücken, in dem man situationsangemessen handelt.
In diesem Artikel wird ein Lehr-/Lernsetting vorstellen, dass viele Erkenntnisse, Ideen und Ansichten in einem aktuellen technologisch möglichen Setting berücksichtigt. Das Modell des „Flipped Classroom“.
Inhalte:
- Lernsettings
- Welche Lernsettings gibt es?
- Synchrones Lernen
- Asynchrones Lernen
- Warum ein Modell aus der Schule für den Vereinssport?
- Lernen ist mehr als nur Anhäufen von Wissen
- Menschen lernen unterschiedlich und in verschiedenen Geschwindigkeiten
- Die Idee des individualisierten Lernens
- Das Modell des „Flipped Classroom“
- Flipped vs. Traditionell
- Das Flipped Classroom Modell in der Anwendung
- Asynchrone Wissensaneignung oder -vertiefung – online
- Synchrone Wissenskonstruktion – offline
- Zusammenfassung
Exkurs: Wie funktioniert Lernen eigentlich?
Lernen an sich ist neurobiologisch gesehen ein einfacher Vorgang. Je häufiger Synapsen im Gehirn miteinander kommunizieren, desto stärker wird die Verbindung und damit stabiler die Speicherung der Informationen, auch Repräsentation genannt. Über die letzten Jahrzehnte haben sich unterschiedlichste Lerntheorien entwickelt. Von den Pawlow´schen behavioristischen „Reiz-Reaktions“-Theorien über die kognitivistischen Lerntheorien von Noam Chomsky und den „sozial-kognitiven“-Theorien von Albert Bandura mit dem „Lernen am Modell“, hin zu den konstruktivistischen Theorien auf den Grundlagen von Jean Piaget. Alle Theorien haben ihre Daseinsberechtigung und ersetzen einander nicht, sie ergänzen sich. Gemeinsam ist allen Theorien, dass Lernen auf der Außensteuerung (vorausgehende oder nachfolgende Reize bestimmend das Lernen) und der Innensteuerung (Wissenserwerb oder Problemlösen) beruhen, diese Aspekte aber unterschiedlich in den Vordergrund stellen.
Aus all diesen Theorien geht hervor, dass Lernen keinesfalls nur ein biologischer Prozess im Nervensystem ist, es ist ebenso ein kognitiv konstruktivistischer Prozess. Wissen und Können entstehen im Dialog zwischen den Lernenden und der Umwelt. Lernen ist ein aktiver, dynamischer und persönlicher Konstruktionsprozess. Bei diesem Prozess entstehen – durch die reflektierten Erlebnisse und Erfahrungen der Lernenden, die auf aktiven Handlungen bezogen werden können – neue und verfestigen sich bestehende physische Strukturen im Nervensystem. Die Folge dieser strukturellen Veränderungen im Nervensystem ist eine beobachtbare Veränderung des Verhaltens. Falls diese Verhaltensveränderungen dauerhaft zu beobachten sind, nennt man dies „Lernen“.
Aktuelle Lernstilmodelle wie z.B. die Lernstile nach Kolb oder die Lernstile nach Honey & Mumford versuchen Menschen nach ihren bevorzugten Lernstilen einzuteilen. Dies hilft Lehrenden sicherlich weiter um ein Bewusstsein zu schaffen, wie Lehre gestaltet werden muss, um auch für alle wirksames Lernen zu ermöglichen. Jedoch sind Menschen sehr Facettenreich, daher sind Modelle über Lernstile mit Vorsicht zu genießen und keinesfalls als absolut zu verstehen.
Wenn wir ehrlich sind, war dies schon schwierig genug in Situationen, in denen sich die Menschen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Seitdem der Aspekt des digitalen Lehrens und Lernens durch die technologische Entwicklung immer mehr in den Blickpunkt gerückt ist, wurde die Debatte über „guten Unterricht“ nicht einfacher. Aus unserer Sicht ist es gut diese Debatte auch weiterhin zu führen. Die kritische Auseinandersetzung, mit dem, was Lehrende tun und Lernende brauchen ist unglaublich wichtig. Sie wird umso bedeutender in Anbetracht der Möglichkeiten, die die Technologie heute schon bietet und in Zukunft noch bieten wird. Klar wird auch, dass es in Diskussion um online oder offline Lehrsettings nicht darum gehen kann, ob eines grundsätzlich besser ist als das andere. Die Antwort auf die Frage, welches Setting besser ist, wird immer sein „Es kommt drauf an“. Ich weiß, diese Antwort wird nicht jeden befriedigen, da sie eigentlich keine Antwort ist. Das deutet aber darauf hin, dass die Frage „Was ist das beste Lehr-/Lernsetting?“ vielleicht eine unpassende Frage ist. Sie lässt zu viele Variablen außen vor und ist zu allgemein. Auf eine solch allgemeine Frage kann es eben keine spezifische Antwort geben, das liegt in der Natur der Sache. Vielmehr sollten Bildungsverantwortliche und Lehrende präzisere Fragen stellen. Beispielsweise „Warum, braucht genau diese Person für eben dieses Thema dieses Lernsetting?“ oder „Wie kann diese Person in diesem Lernsetting dazu gebracht werden die Informationen aufzunehmen und zu speichern?“ oder „Was steht in meinen Möglichkeiten, die Lernsituation so zu gestalten, dass Lernen für diese Person in diesem Thema möglich und attraktiv wird?“
Weitere Anregungen zu diesem Thema
Artikel, Lektüren, Studien und weitere...
In diesem kurzen Artikel können wir leider nicht reflektieren, was gute Fragen sind, die sich Bildungsverantwortliche oder Lehrende stellen sollten oder gar tiefer auf solche Fragen eingehen. Wer sich darüber informieren möchte, welche Frage man denn in unserer heutigen Zeit für den Lehr-/Lernprozess stellen könnte, dem empfehle ich die Lektüre von Motivationstheorien wie z.B. von Carol Dweck, der Selbstbestimmungstheorie nach Edward L. Deci und Richard M. Ryan, den kognitivistischen oder sozial kognitiven Lerntheorien mit den Protagonisten Jerome Bruner, Jean Piaget, Dietrich Dörner, Noam Chomsky oder Albert Bandura, den Ideen des „Shift from Teaching to Learning“ von Willy C. Kriz u.a., dazu noch ein wenig Studium der Grundlagen einer Ermöglichungsdidaktik wie z.B. von Rolf Arnold und den Ideen des „Teaching for quality Learning“ von John B. Biggs, getoppt mit den fortlaufenden Ergebnissen der größten – und andauernden Studie – zum Thema Lernen, der sogenannten „Hattie-Studie“ von John Hattie und das Aufmerksame zuhören bei Menschen wie Richard David Precht oder Gerald Hüther. In diesem Artikel kann ich aber zumindest versuchen ein Lehr-/Lernsetting vorzustellen, dass viele Erkenntnisse, Ideen und Ansichten der o.g. Personen in einem aktuellen technologisch Möglichen Setting berücksichtigt. Das Modell des „Flipped Classroom“. Bevor ich aber auch das Modell eingehe, zuerst noch ein paar Informationen vorschalten.
Lernsettings
Welche Lernsettings gibt es?
Lernen kann in unterschiedlichen Situationen stattfinden. Vor einigen Jahren war eine Differenzierung in „Präsenz“ und „Digital“ noch sinnvoll. Heutzutage gibt es viele Situationen, in denen diese Differenzierung nicht mehr reicht. Daher sprechen wir von „synchronen“ und „asynchronen“ Lernsituationen. Beide Situationen sind ortsunabhängig und können online genauso wie offline, mit physischer Präsenz, stattfinden.
Synchrones Lernen
…findet immer in der Gruppe statt, denn hier lernen alle Teilnehmenden zur gleichen Zeit. Der Klassiker ist hier das Klassenzimmer oder die Turnhalle aber auch in einem Webinar über das Internet findet synchrones Lernen statt. Lernen findet also zeitgleich, nicht aber unbedingt am gleichen Ort statt.
Asynchrones Lernen
…findet alleine oder in Kleingruppen einer Gesamtgruppe statt. Hier sind klassische Situationen Hausaufgaben, Einzeltrainings in Mannschaftssportarten aber auch e-Learning wie z. B. Web-Based-Trainings sind asynchrone Lernsituationen.
Wir haben wohl alle noch das klassische Lernen in der Schule erlebt, in dem zuerst in der Klasse – synchron – Wissen präsentiert wurde und dann mit den Hausaufgaben – asynchron – dieses Wissen für sich angeeignet (durch Bearbeitung), strukturiert und gefestigt werden sollte. In unserer heutigen Zeit gibt es, weder aus lernpsychologischer Sicht noch aus technischer Sicht, viele Gründe dieses Modell weiterhin aufrecht zu erhalten. Lernen kann durch eine Umkehr und ein neu denken effizienter gestaltet werden. Dazu bedarf es jedoch einiger Anpassungen in didaktischer, methodischer, und psychologischer Hinsicht.
Warum ein Modell aus der Schule für den Vereinssport?
Im DTB betrachten wir Trainer*innen immer als Lehrende. Wie Lehrer*innen versuchen ihre Schüler*innen in einem Setting – genannt „Unterricht“ – etwas zu vermitteln, damit die Schüler *innen in Zukunft mehr Wissen und Können, so versuchen Trainer*innen in einem Setting – genannt „Training“ – etwas zu vermitteln, damit ihre Sportler*innen mehr Wissen und Können besitzen, um im Wettkampf besser zu werden. Daher sehen wir die notwendigen Kompetenzen von Trainer*innen und Lehrenden in vielen Bereichen recht deckungsgleich. Insofern kann fast jedes Lehr-/Lernsetting aus dem schulischen Kontext in den des organisierten Sports übertragen werden. Somit auch das Setting „Flipped-Classroom“.
Lernen ist mehr als nur Anhäufen von Wissen.
Wissenserwerb oder Wissensvertiefung sind zwar integrale Bestandteil des Lernens, ob man etwas gelernt hat zeigt sich aber erst im reflektierten Anwenden des Wissens und der Dauer in dem das Wissen sich in der Anwendung beobachten lässt. Eine Überprüfung des Gelernten – wenn es also nicht nur um das Reproduzieren von angesammelten Informationen geht – funktioniert damit also nicht über einem schriftlichen oder mündlichen Test, sondern im Anwenden und tatsächlichen Handeln in einer relevanten Situation.
Menschen lernen unterschiedlich und in verschiedenen Geschwindigkeiten
Das zeigt sich häufig, wenn z. B. Lernende „nicht mitkommen“ oder bei den Hausaufgaben überfordert sind. In der Schule nutzt man hier gerne die Krücke des Förderunterrichtes oder privat die der Nachhilfe. Damit wird viel Zeit aufgewendet, um alle Lernenden auf dem gleichen Lernstand zu halten. Dies ist sehr unökonomisch und zudem für die Psyche von Personen, die „Förderung“ oder „Nachhilfe“ brauchen auch nicht sehr zuträglich, da sie sich wahrscheinlich ständig defizitär fühlen und damit die Lust am Lernen nicht unbedingt unterstützt wird.
Die Idee des individualisierten Lernens
Die Situation in reiner synchroner Lehre mit physischem Präsenz macht es für Lehrende schwierig Umfelder zu erschaffen, die allen gerecht werden. Es gibt einige sehr gute Ansätze für die Schule, wie z.B. EduScrum, die es schaffen reguläre Lernsituationen neu, effizient und attraktiv für die Lernenden zu gestalten. Da wir uns hier mit dem digital unterstützenden Lernen beschäftigen, gehen wir nicht weiter auf diese Ansätze ein. Nur noch so viel dazu, auch EduScrum Settings können von dem „Flipped“ Modell profitieren.
Das Modell des „Flipped Classroom“
Das Modell des „Flipped Classroom“, also des umgedrehten Unterrichts, verfolgt das Ziel, den Wissenserwerb zu individualisieren, die Konstruktion bzw. Anwendung des gelernten in der Gemeinschaft stattfinden zu lassen und somit die Effizienz von Lernen zu erhöhen.
Das Flipped Modell unterstützt den Veränderungsprozess vom lehrerzentrierten zum lernerzentrierten Unterricht. Es verschiebt den Fokus auf die Lernenden und stellt diese in den Mittelpunkt. Es lässt den Lernenden mehr Raum für individuelles Lernen. Es betont die Bedeutung des Lernens in physischer Präsenz, da in diesen Lernsituation das Wissen durch Reflektion und Anwendung in Können übertragen wird. Es bedarf aber auch eines neuen Rollenverständnisses der Lehrenden und Lernenden, mit erweiterten Kompetenzen auf beiden Seiten.
Vorteile des ,,Flipped Classroom"
Das Flipped Modell wird sehr stark von den heute zur Verfügung stehenden Medien unterstützt. Jeder hat Zugang zum Internet und (fast) jeder ein internetfähiges Endgerät wie ein Handy, Tablet, PC oder Laptop/Notebook. Zugang zu Wissen ist unbegrenzt vorhanden, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Wissen kann also immer und überall erworben und vertieft werden. Physische Lernräume sind hierfür unnötig und im Übrigen auch kein Qualitätsmerkmal. Gute und Schlechte Wissensvermittlung kann online und offline geschehen, hierfür kennen wir sicherlich alle genügend Beispiele.
Was für gutes Lernen, das anwendbar ist und auch lang hängen bleibt, viel wichtiger ist als das reine Wissen ist vor allem die Möglichkeit eines aktiven individuellen Konstruktionsprozesses. Das Wissen kann nur über die Auseinandersetzung und die Verknüpfung mit Handlungen vom gelernten in gekonntes übergehen. Dieser Prozess Bedarf vor allem Zeit, interne und externe Reflektionsgelegenheiten, Anwendungsmöglichkeiten und soziale Interaktion.
Flipped vs. Traditionell
Hier kurz eine Aufstellung, in welchen Punkten sich das Flipped und das traditionelle Modell unterscheiden:
Flipped
- Lernende erwerben/vertiefen durch Aufgaben, Videostudium, Texte usw. Zuhause, in ihrer Lerngeschwindigkeit selbstorganisiert ihr Wissen, asynchron-online. (Überall, jederzeit)
- Lernende sammeln aktiv ihre Informationen und verarbeiten diese. Sie bringen Fragen in den gemeinsamen Lernraum mit. Sie nutzen dafür ihre individuellen Lernstrategien.
- Die Zeit im gemeinsamen Lernraum wird, synchron-offline, genutzt um miteinander das Wissen zu reflektieren und anzuwenden.
- Die Lehrenden unterstützen durch Anregungen zur Diskussion, Austausch und Reflektion bei diesem konstruktiven Lernprozess.
Traditionell
- Lehrende organisieren Wissenserwerb/-vertiefung im gemeinsamen Lernraum, synchron-offline (im Klassenzimmer, zu einem festgelegten Zeitpunkt).
- Lehrende fragen, Lernende antworten, hören zu, Arbeiten im Lernraum mit und machen sich Notizen.
- Lehrende geben Hausaufgaben bei denen die Lernenden selbstständig das Wissen anwenden und ihr Verständnis demonstrieren sollen, asynchron-offline. Der/die Lehrer*in überprüft dies in der nächsten Stunde.
Das Flipped Classroom Modell in der Anwendung
Aus dieser lernerzentrierten, konstruktivistischen Sicht spielt die Gestaltung der Lernräume eine entscheidende Rolle für den Lernerfolg. Die Lernumgebung muss so gestaltet werden, dass sie möglichst attraktiv und aktivierend auf die Lernenden wirkt, gerade wenn die Lernenden selbstorganisiert Wissen aufnehmen sollen. Einige Gestaltungsprinzipien hierfür finden wir z. B. in der Lernpyramide (basierend auf Edgar Dales „Cone of Experience“) wieder.
Die „Lernpyramide“
Passive Verfahren scheinen bei der Wissensvermittlung weniger effektiv zu sein, wenn es darum geht, das Gelernte nicht nur direkt wiederzugeben, sondern zu behalten und nach einiger Zeit erneut zu aktivieren. Dabei spielt die Aufmerksamkeit eine entscheidende Rolle. Bei einer bewussten, aktiven Auseinandersetzung mit den Informationen, also im Zustand hoher Aufmerksamkeit, gelangt die Information besser in das Langzeitgedächtnis. Man lernt somit am besten, wenn man sich aktiv mit den Informationen beschäftigt und diese in selbst nachvollziehbare Zusammenhänge bringt. Dabei gilt der Grundsatz, dass je mehr Sinnesorgane an der Informationsaufnahme beteiligt sind, es eine höhere Informationsspeicherung zur Folge hat. Kommt zudem noch eine emotionale Komponente dazu, z. B. durch die Verbindung mit einer bedeutungsvollen Situation oder Person, verstärkt sich der Lerneffekt nochmals.
Was bedeutet dies nun für die Lernsettings im „Flipped“ Modell?
Asynchrone Wissensaneignung oder -vertiefung – online
Verfahren in asynchronen Online Lernsetting
Die Lernenden eignen sich zu Hause in ihren eigenen Lerngeschwindigkeiten die Grundlagen eines neuen Themas an oder vertiefen schon bestehendes Wissen zu bekannten Themen. Wichtig hierbei ist, dass Verfahren angewendet werden, die in vermeintlich passiven Settings eine kognitive Aktivierung provozieren. Dies geschieht durch das aktive Bearbeiten von Aufgaben oder darüber sich Fragen zu notieren oder sich mit anderen Personen der Lerngruppe in einem Online Chat auf einer Lernplattform auszutauschen.
Bearbeiten heißt in diesem Fall z. B. vorbereitete Videos oder ein kleines online-Quiz lösen. Hierzu werden z. B. Lehrvideos oder Erklärvideos (Videos mit interaktiven Elementen wie Quizzes o. ä., z. B. durch H5P gestaltet) angesehen und die darin gestellten Arbeitsaufträge erledigt, Podcasts oder Audio Dateien gehört und dazu Fragen beantwortet oder Statements abgeben, MindMaps oder ConceptMaps erstellt, um Fragen, Gedanken, Erkenntnisse und Verbindungen zu dokumentieren. Gesammelt wird das alles idealerweise in Lernplattformen um eine zentrale Quelle für alle Aufgaben und Dokumentationen zu haben.
Die Lehrenden verfolgen soweit dies möglich ist diesen asynchronen Prozess. Hierbei helfen Lernplattformen wie Moodle, um einen gemeinsamen Online Lernraum zu haben. In diesem findet auch in den Online Phasen Kommunikation statt und damit sind die Lernenden nicht auf sich allein gestellt, wenn sie Fragen oder Probleme haben. Lernplattformen sind für das Flipped Modell aber kein muss. Wenn die Lernenden ihre Informationen gesammelt, ihre Aufgaben bearbeitet und ihre Fragen notiert haben, dann ist es Zeit sich in physischer Präsenz zu begegnen, um das Wissen mit Leben zu füllen.
Synchrone Wissenskonstruktion – offline
Bisher wurde Wissen angehäuft, Erkenntnisse gewonnen, Verbindungen der neuen Informationen zu Situationen aus dem Alltag o. ä. geschaffen und Fragen aufgeworfen. Dieses Wissen sitzt zum jetzigen Zeitpunkt aber noch relativ träge im Gehirn der Lernenden. Sicherlich könnte man jetzt sagen: „Na, die haben das doch gelernt!“ Das wäre aber zu kurz gegriffen und nach der Definition von Lernen auch noch gar nicht der Fall. Denn Lernen zeigt sich in einer stabilen Verhaltensänderung.
Im synchronen Offline Setting kommen wir zur Wissenskonstruktion. Also dem Teil, der dafür zuständig ist, dass wir Wissen nutzbar machen und es tatsächlich auch einsetzen. Die Wandlung von trägem in aktives Wissen beginnt zwar im Idealfall schon in Online Settings durch den Austausch in der Gruppe aber die Wandlung von aktivem Wissen in reflektiertes Handeln bedarf neben der eigenen, internen auch externe Reflektion durch Andere. Gerade im Sport ist dieser Aspekt unerlässlich.
Die Wissenskonstruktion
Im näheren Detail
Die Wissenskonstruktion läuft im ersten Schritt auf die Fragen „Hab ich das richtig verstanden?“ oder „Weiß ich was ich tun sollte?“ hinaus (Input). Um diese Frage beantworten zu können muss man seine – intern konstruierten – Wahrnehmungen und Erkenntnisse mit anderen Abgleichen. Hierzu sind aber Reflektionsgelegenheiten, Rückmeldungen, Diskussion, Austausch, „Try- and-Error“ oder der Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung unerlässlich.
Also die Klärung der Fragen „Mache ich es so, wie es sein soll?“ oder „Kann ich es?“ (Output). Dies Gelingt am besten in synchronen Lernräumen, Offline, in der Auseinandersetzung mit anderen Personen in relevanten Situationen, wie z. B. in Trainingssituationen mit echten Sportler*innen. Die Ideen für die Nutzung des Wissens können in einem sicheren Umfeld ausprobiert, in der Gruppe besprochen und so Handlungssicherheit erlangt werden. Damit entwickelt sich reflektiertes Können (Outcome).
Dieses aktive Wissen, welches zuerst durch die interne Erkenntnisschleife gegangen ist und dann nochmal durch externes Feedback angereichert wurde, setzen die Lernenden dann in aktiven Handlungen um. Das Tun, also „Hands-On“, direkt und Live mit Menschen der Zielgruppe (z. B. Sportler*innen) ist im letzten Lernschritt das, womit man vom Wissen über das Tun hin zum Können kommt.
Hier klären sich die Fragen „Mach ich es so, dass meine Zielgruppe einen Mehrwert hat?“ oder „Schaffe ich es durch mein Handeln, dass meine Sportler*innen die Möglichkeit bekommen ihre Ziele zu erreichen?“. Oder anders ausgedrückt, durch Bildung (Input) entstand Wissen und Wissen wurde durch Ausprobieren (Performanz) zu Können (Outcome). Die lernenden wurde zu wissenden und schlussendlich zu kompetenten Menschen.
Exkurs:
Was braucht es, damit asynchrone oder synchrone Online Lernsettings überhaupt funktionieren?
Zuerst braucht es einen guten GRUND für digitale Lehrsettings. Fehlende Klarheit, warum gerade dieser Teil der Ausbildung digital unterstützt werden muss, kann bei den Lernenden zu Irritationen führen, die das Einlassen auf die Situation verhindern.
Die Lehrenden und Lernenden brauchen eine KOMPETENZ im Einsatz und dem Umgang mit digitalen Lehrwerkzeugen. Ohne die notwendige Kompetenz kommen bei Lehrenden und Lernenden Unsicherheiten auf. Unsicherheit verhindert die Nutzung der notwendigen Werkzeuge.
Die Lernenden brauchen ein klares Bild von dem MEHRWERT der digitalen Lehrsettings. Wenn den Lernenden deutlich wird, worin der Mehrwert des gewählten Settings liegt, ist die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz des Settings höher. Ohne ein Bewusstsein für den Mehrwert des Settings kommt Widerstand und Unverständnis auf.
Die Lehrenden und Lernenden brauchen angemessene RESSOURCEN, wie z. B. eine gemeinsame Lernplattform, angemessen schnellen Internetzugang oder überhaupt ein digitales Endgerät, dass ihnen zur Verfügung steht. Fehlenden Ressourcen führen zu Frustration, da man nicht alles Nutzen kann was nötig ist.
Die Umsetzung der digital unterstützen Settings bedarf einer gründlichen PLANUNG durch die Lehrenden, um einen möglichst reibungslosen Verlauf zu gewährleisten. Improvisation in digitalen Settings ist zwar möglich, jedoch ungleich schwieriger als in Präsenssettings. Fehlende Planungen führen zu „Fehlstarts“.
Zusammenfassung
Lehrstrategien in digitalen Lernsetting
Die Leiterin des Hamburger Zentrums für Universitäres Lehren und Lernen, Gabi Reimann, hat einmal trefflich beschrieben, was es bei Lehrenden bedarf um guten Unterricht (oder in unserem Falle Training) anzubieten: „Dazu bedarf es Lehrender, die erstens Inhalte darstellen, also erklären und ordnen, die zweitens zwischen Lernenden und Inhalten vermitteln, also Lernende durch Aufgaben und Kontexte aktivieren, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen, und die drittens mit Lernenden kommunizieren, also Feedback geben, Dialoge führen, diskutieren usw.“ Dies ist ein guter Ansatz, wenn man den Lehrenden in den Blick nimmt und unabhängig des Settings grundlegend richtig.
Für die Lernenden ist eine Mitbestimmung und Gestaltungsfreiheit in ihrem persönlichen Lernprozess jedoch mindestens genauso wichtig. Schlussendlich sind sie es, die sich ihre Realität konstruieren. Die Lehrenden sind dazu da die Lernenden bei diesem Konstruktionsprozess individuell zu unterstützen und dem sollte mit angepassten Lernsettings Rechnung getragen werden.
Für mich steht fest, dass die Zukunft der Trainer*innen Ausbildung in diesem Flipped Classroom Modell in Form von Blended Learning Veranstaltungen liegt. Hierzu müssen jedoch nicht nur Materialien und Methoden angepasst werden, denn es stellt eine Umstellung der Lernkultur dar. Daher wird dies kein schneller Prozess sein, auch wenn Blended Learning Veranstaltungen schon bald zum normalen Bild der Ausbildung im DTB gehören. Kulturveränderungen brauchen Zeit, alle Beteiligten müssen sich ihrer Rolle klar werden und die Möglichkeit bekommen sich in dieser neuen Rolle auch sicher zu fühlen.
Ähnliches kann ich mir sogar auch für das tägliche Vereinstraining vorstellen. Was spricht dagegen die Medien als Unterstützung für das Training zu nutzen, die die Jugendlichen sowieso schon täglich nutzen? Hier sind Kreativität und Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse und Erlebniswelt der Kinder & Jugendlichen gefordert. Dieses Können zu erwerben wiederum muss in Trainerausbildungen ein integraler Bestandteil sein, da genau dieses eine intensive Auseinandersetzung und Reflektion bedarf.
Der DTB ist bestrebt diese Ideen und Erkenntnisse über die Landesturnverbände in die Ausbildungen und die Vereine einfließen zu lassen. Durch meine ständige Kommunikation mit den Landesturnverbände sehe ich aber, dass hier zwar noch „viel Luft nach oben“ ist, die LTV aber enorm daran arbeiten diese Ideen in ihren Ausbildungen anzuwenden und mit Leben zu füllen.
Jens Mitzel
Bildungsreferent im DTB