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Turn-Team Deutschland

Auf schmalem Grat nach Tokio

09.07.2020 10:48

Die frühere Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer will bei den Olympischen Spielen 2021 nach Edelmetall greifen.

Pauline Schäfer | Bildquelle: DTB/Dedicated Sports
Pauline Schäfer | Bildquelle: DTB/Dedicated Sports

Das Gefühl für ihr bestes Gerät hat Pauline Schäfer nicht verloren. Beim Turn-Team Battle, dem Online-Wettkampf, mit dem sich die deutschen Turnerinnen Ende Juni bei ihren Fans zurückmeldeten und für viel Spannung sorgten, beeindruckte die 23 Jahre alte Chemnitzerin mit 18 gestandenen freien Rädern am Schwebebalken innerhalb von einer Minute. Ein schöner Erfolg in einer Zeit, in der die großen Ziele in die Ferne gerückt sind. In der es gilt, sich so gut wie möglich zu präparieren für die Herausforderungen, die im nächsten Jahr anstehen.

Zweimal bereits ist Pauline Schäfer die Gratwanderung auf dem nur zehn Zentimeter schmalen Balken bei Weltmeisterschaften glänzend gelungen. 2015 gewann die gebürtige Saarländerin in Glasgow Bronze, 2017 krönte sie sich im kanadischen Montréal zur Königin und wurde damit schlagartig einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Was der Athletin, die den Balanceakt mit der Geschmeidigkeit einer Katze zu meistern versteht, noch fehlt, das ist olympisches Edelmetall. In diesem Sommer, in Tokio, wollte sie bei ihren zweiten Spielen danach greifen.

Dafür hatte die Abendschülerin extra ihr angestrebtes Abitur ins Jahr 2021 verschoben. Sie wollte frei von den Gedanken an Klausuren und Prüfungen sein und sich ein paar Monate lang, abgesehen von ein paar freiwilligen, den Anschluss sichernden Unterrichtsstunden, allein auf den Sport konzentrieren. Das Corona-Virus hat dieses Vorhaben jedoch durchkreuzt.

„Alle Pläne wurden über den Haufen geworfen“, sagt Pauline Schäfer. Ein „Wechselbad der Gefühle“ habe sie durchlebt: Erst konnte die Olympiateilnehmerin von Rio nicht trainieren, ohne zu wissen, ob die Spiele in diesem Jahr stattfinden würden, dann, nachdem auch sie selbst eine Verschiebung gefordert hatte, wurden diese um zwölf Monate verlegt.

„Das war anfangs sehr schwierig für mich“, sagt Pauline Schäfer. Bei der Familie in der Heimat ließ sie sich wieder aufrichten. Im Fitnessraum der Eltern absolvierte sie ihr Krafttraining, ging mit der Mutter laufen und genoss den Rückhalt, den man ihr gab. „Das hat gutgetan“, sagt sie. Dreieinhalb Wochen lang setzte die Turnerin des KTV Chemnitz mit dem Üben an Barren und Boden aus. Mittlerweile ist sie wieder zurück in Sachsen. Doch die Prioritäten haben sich verändert.

Die lange Phase ohne Wettkämpfe will Pauline Schäfer vor allem dazu nutzen, ihren Körper wieder auf Vordermann zu bringen. Unter anderem plagt sie seit einem Jahr das rechte Handgelenk. „Anfang des Jahres konnte ich überhaupt nicht mehr stützen“, erzählt die mehrmalige Deutsche Meisterin. Die genaue Ursache wurde bislang nicht gefunden; ein neuer Therapieansatz brachte zuletzt nicht den gewünschten Erfolg.

Natürlich liebäugelt die Turnerin mit einer Teilnahme an den Europameisterschaften in Baku, die im Dezember im Kalender stehen. „Aber man weiß noch gar nicht, ob sie überhaupt stattfinden", sagt sie. "Corona ist ja nicht verschwunden.“ Zudem wolle sie nicht „auf Biegen und Brechen“ alles versuchen, um in Aserbaidschan zu starten. Wichtiger sei es ihr, im nächsten Jahr „den Körper im Griff“ zu haben.

Dafür hat sie auch die anvisierte Aufstockung einiger ihrer Übungen zurückgestellt, des Programms am Balken etwa, mit dem sie nach Verpassen des WM-Finals von Stuttgart 2019 und einem sechsten Platz bei der EM zuvor in Stettin noch einmal ganz vorne angreifen will. Anders als bei dem nach ihr benannten Schäfer-Salto, einem Seitwärtssalto mit halber Drehung, belasten die zusätzlichen Schwierigkeiten die aktuellen Problemzonen.

Kraft- und Stabilisationstraining prägen so vorerst den Alltag. Nach den Sommerferien wartet dann aber auch wieder eine andere Herausforderung. Denn Pauline Schäfer hat beschlossen, ihren Schulabschluss nicht noch einmal zu verschieben. So wird sie den Weg nach Tokio doppelt belastet angehen. Wie das genau aussehen könnte, das müsse sie noch mit ihrem Trainer Kay-Uwe Temme besprechen, der seit 2019 für sie verantwortlich ist. Vermutlich müsse sie ihr Training dafür optimieren und die Umfänge reduzieren. Doch in dem mittlerweile „eingespielten Team“, in dem die schweißtreibende Routine der früheren Weltmeisterin wieder „richtig Spaß“ mache, hat sie auch in dieser Hinsicht ein gutes Gefühl.