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Forum "Leistung mit Respekt"

09.05.2021 08:58

Konstruktiver und erfolgreicher Austausch zum Kickoff für den Kultur- und Strukturprozess im DTB

DTB-Forum "Leistung mit Respekt"
DTB-Forum "Leistung mit Respekt"

Das digitale Forum „Leistung mit Respekt“ läutete am Samstag (08.05.2021) den Auftakt des gesamtverbandlichen Kultur- und Strukturprozesses im Deutschen Turner-Bund ein. Das Ziel der Veranstaltung war es, aus vielfältigen Sichtweisen wie die der Wissenschaft, der Trainer*innen, der Systemiker, der Landesturnverbände, aus der internationalen Perspektive und Perspektive des Bundesverbandes die entscheidenden Gesichtspunkte für erfolgreichen gewaltfreien leistungsorientierten (Turn-) Sport herauszuarbeiten. Welche Rahmenbedingungen und welche Kultur herausragende Leistung und eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung von Athlet*innen bestmöglich fördert, galt es zu diskutieren. Das alles vor dem Hintergrund im Leistungssport die internationale Konkurrenzfähigkeit zu sichern und auszubauen.

Bereits vor einem Jahr, mit der Veröffentlichung des Präventionsschutzkonzeptes gegen sexualisierte Gewalt, hat sich der DTB eindeutig für die Schaffung einer Kultur des Hinsehens und Handelns ausgesprochen. Daran anknüpfend eröffnete DTB-Präsident Dr. Alfons Hölzl das Forum mit einem kritischen Blick auf das im vergangenen Jahr formulierte Ziel: „Die aktuellen Vorwürfe von Athlet*innen u.a. aus Chemnitz bestätigen, dass diese Kultur noch nicht überall etabliert ist. Aus diesem Grund benötigen wir einen Struktur- und Kulturprozess, der  Rahmenbedingungen wie die Sicherung des Kindeswohls und der Persönlichkeitsrechte im Kontext der internationalen Konkurrenzfähigkeit im Leistungssport in den Mittelpunkt stellt und einen Wandel initiiert. Das heutige Forum ist in diesem Prozess nur ein erster Baustein.“

DTB-Generalsekretärin Michaela Röhrbein ergänzte in ihrem Impulsvortrag: „Wir haben das Thema Gewalt im Sport zwar im Blick gehabt, aber nicht genug und vor allem nicht differenziert genug. In Bezug auf die aktuelle Debatte wird deutlich, wie viele verschiedene Stakeholder mit unterschiedlichen Ansichten zu diesem Thema zusammenkommen. Daher müssen wir unseren Blick auf das gesamte System ausweiten, denn eben dieses begünstigt oder kann Athlet*innen vor Gewalt im Sport präventiv schützen.“ Mit dem Ziel Turnen solle in der Gesellschaft „wieder als das gesehen werden, was es ist, nämlich Kraft, Ästhetik und Präzision“, luden die beiden DTB-Spitzen alle Interessierten ein, sich im Rahmen des ersten Forums offen und konstruktiv zu beteiligen und so den Wandel voranzubringen.

Wissenschaft belegt - Vorfälle keine Einzelfälle
Dass die derzeit bekannten Vorfälle von Gewalt im Sport keine Einzelfälle sind, bestätigte die Sportwissenschaftlerin der Deutschen Sporthochschule Köln, Dr. Jeannine Ohlert. Unter wissenschaftlichen Aspekten widmete sie sich den aus der „Safe Sports Studie“ entstandenen Ergebnissen zur psychischen Gewalt im Sport, wonach 86 Prozent der befragten Athlet*innen im Leistungssport bereits einmal mit einem persönlichen Ereignis der psychischen Gewalt in Kontakt kamen und 23 Prozent schwerste psychische Gewalt erfahren haben.
Ebenfalls geht aus der Studie hervor, dass es zwar grundsätzlich aber nicht in jedem Fall ganz eindeutig ist, ob psychische Gewalt vorliegt, „aber wir müssen uns fragen, ob es notwendig ist, überhaupt in die Nähe dieser Diskussion zu kommen. Muss Training so gestaltet sein, dass es zu psychischer Gewalt kommen kann?“ Um den „Empowerment-Ansatz“ zur Stärkung des gemeinsamen Klimas sowohl für Leistung als auch für Respekt in den Sporthallen, umzusetzen, benötige es im avisierten Kultur- und Strukturprozess einen systemischen Ansatz mit dem der Fokus auf alle Beteiligen gerichtet wird.

„Handlungssicherheit in dem Prozess des Wandels können wir nur erreichen, wenn wir unterschiedliche Perspektiven erheben, einen wertschätzenden Umgang leben und das Entwickeln von Fähigkeiten und Potentialen fördern“, pflichtet ihr die Sportpsychologin und Systemikerin des Olympiastützpunktes Berlin Monika Liesenfeld bei.

Trainerinnen Bachmayer und Schunk heben Perspektive der Trainer*innen hervor
Bundesstützpunkttrainerin Tatjana Bachmayer hob mit ihrer direkten Perspektive aus der Turnhalle vor allem die Sichtweisen der Trainer*innen in den Vordergrund. „Der Prozess ist eine Chance einen neuen Weg zu finden, der die Athleten ausbildet, aber auch Trainerinnen und Trainer stärkt. Der Respekt vor der Leistung der Trainerinnen und Trainer ist unabdingbar, sie haben eine Stimme und sollen sich aktiv am Prozess beteiligen“, so die Karlsruherin. Auch Bundesnachwuchstrainerin Claudia Schunk, die sich selbst als Mentorin für noch unerfahrene Heimtrainer*innen sieht, stärkte die Position der Trainer*innen im Kultur- und Strukturprozess: „Viele Trainer sind derzeit verunsichert und hinterfragen zum Teil auch ihre Berufswahl. Wir müssen uns der Herausforderung stellen, die Probleme anzugehen, ohne uns als Trainer angegriffen zu fühlen.“ Gemeinsam mit weiteren Trainer*innen wurden bereits Ideen zur Neugestaltung des derzeitigen „Altersklassensystems“ entwickelt: „Das Altersklassensystem berücksichtigt nur das kalendarische Alter. Die relativen Alterseffekte finden hierbei keine Berücksichtigung“, so Bachmayer.

Stellvertretend für die Landesturnverbände im DTB stellte Marcus Trienen das Interventionsmodell des Niedersächsischen Turner-Bundes vor. Während vormals eher ein reaktives Vorgehen in Bezug auf Gewalt im Sport innerhalb der niedersächsischen Turnstrukturen herrschte, wird dieses derzeit mit einem Qualitätsmanagement- und Dialogsystem in ein proaktives Vorgehen überführt. „Wir können nicht von oben erwarten, dass ein Wandel entsteht. Dazu brauchen wir die Basis“, so Trienen und stärkte damit ebenfalls die Position der oftmals in befristeten Verträgen arbeitenden Trainer*innen.

Athleten Deutschland fordert unabhängige Struktur
Dass der organisierte Sport den Kampf nicht für sich allein kämpfen kann, gab Maximilian Klein (Beauftragter für Internationale Sportpolitik und Organizing bei Athleten Deutschland) zu bedenken. Athlet*innen wollen ein sicheres und gewaltfreies Umfeld, in dem sie auch als Menschen geachtet werden, so Klein. „Die Präventionsarbeit ist und bleibt Aufgabe der Verbände und diese muss auch durch die Politik gestärkt werden. Sie muss jedoch zusätzlich von außen begleitet und evaluiert werden. Zudem bedarf es einer zusätzlichen unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene. Es fehlt die systematische und strategische Koordination der vielen Projekte und Konzepte“, fügte der 28-Jährige an und verwies damit auf das von Athleten Deutschland veröffentlichte Strukturpapier im dem nach internationalen Vorbildern eine unabhängige Struktur wie ein Zentrum „Safe Sports“ gefordert wird.

Ethics Foundation der FIG will unabhängige Struktur in Deutschland unterstützen
Ebenfalls eine internationale Sichtweise thematisierte Alex McLin von der Gymnastics Ethics Foundation des Internationalen Turnverbandes FIG in seiner Videobotschaft. Während in Deutschland der Ruf nach einer externen Anlaufstelle noch diskutiert wird, wurde dies auf der internationalen Ebene mit der Gymnastics Ethics Foundation innerhalb der FIG als direkte Folge des Missbrauchsskandals in den USA bereits umgesetzt. Sie bietet den Athlet*innen Sicherheit und Schutz vor Gewalt und fordert eine solche Struktur auf der jeweiligen nationalen Ebene, und möchte auch in Deutschland und somit den DTB dabei unterstützen.

Konkrete Arbeitsschritte werden nun umgesetzt
Gebündelt, analysiert, bearbeitet und umgesetzt werden diese vielfältigen Ansprüche nun innerhalb des Kultur- und Strukturprozesses, welcher anhand der Projektskizze durch den Vizepräsidenten für Verbandsentwicklung im DTB, Martin Hartmann, dargestellt wurde. Neben den konkreten Arbeitsschritten der einberufenen Gremien kündigte er erste „Quick-Wins, die direkt aus dem Prozess heraus umgesetzt werden sollen“ an und verwies auf eine (Zwischen-) Ergebnispräsentation des auf eineinhalb Jahre angelegten Prozesses während des Turntages im November 2021.

Röhrbein will große Allianz, um Thema vornanzubringen
Im Schlusswort der Veranstaltung fasste Michaela Röhrbein zusammen, dass der sehr komplexe Prozess und die Veränderung der Rahmenbedingungen nur gemeinsam mit allen Stakeholdern und mit einer großen Allianz mit weiteren Spitzen- und Sportdachverbänden unter dem Dach des Deutschen Olympischen Sportbundes gelingen kann. Sie warb dafür, dass dieses Thema auch im Kreise der Spitzenverbände diskutiert wird, „damit die Sichtbarkeit der Notwendigkeit des Handelns größer wird und wir Hand in Hand diese Thematik voranbringen“.

Die Impulsbeiträge der Veranstaltung können über den YouTube-Kanal des Deutschen Turner-Bundes im re-live angeschaut werden. 

Im Anschluss an das Forum werden die vorgestellten Arbeitsgruppen ihre Arbeit aufnehmen.
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