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Sprossenwand - Magazin im DTB

Interview mit Ulrich Neubauer

06.09.2007 14:35

Zwischenbilanz

Beim Spitzensportprojekt 2012 ist fast die Halbzeit erreicht. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Woran hapert die Umsetzung noch? Warum sind in Bayern noch keine Turn-Talentschulen? Dies und mehr im Interview mit Ulrich Neubauer, DTB-Beauftragter für die Turn-Talentschulen.

Beim Spitzensportprojekt 2012 ist fast die Halbzeit erreicht. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Woran hapert die Umsetzung noch? Warum sind in Bayern noch keine Turn-Talentschulen? Dies und mehr im Interview mit Ulrich Neubauer, DTB-Beauftragter für die Turn-Talentschulen.

Herr Neubauer, die erste Halbzeit des Spitzensportkonzeptes 2012 ist bald geschafft. Wie bewerten Sie die bisherige Umsetzung?
Wir sind bei der Umsetzung des Spitzensportkonzeptes auf einem guten Weg. Seit der Beschlussfassung im Jahr 2004 bis zum heutigen Tag kommt immer mehr Bewegung in den gesamten Prozess. Fasst alle Landesturnverbände und ausgewählte Vereine greifen aktiv in die Umsetzung des Projektes ein und beteiligen sich mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten an der Einrichtung von DTB-Turn-Talentschulen und DTB-Turn-Zentren.
Ein Ziel im Spitzensportkonzept besteht ja unter anderem darin, ein flächendeckendes Nachwuchssystem aufzubauen, in dem nach einheitlichen Qualitätsstandards gearbeitet wird. Ich begleite seit April 2006 ziemlich intensiv diesen Prozess und kann feststellen, dass die Zahl derer, die aktiv an der Umsetzung des Konzeptes mitwirken, immer größer wird.

Rund 40 Turn- Talentschulen gibt es bisher. Jedoch gibt es noch keine in Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg. Woran liegt das und wie kann auch dort das System implementiert werden?
Nach dem neuesten Stand gibt es bereits 45 Talentschulen. Fünf weitere Anträge liegen zur Prüfung vor. Vier davon sind aus Bayern. Bayern liegt also jetzt auch voll im Trend. Schleswig-Holstein bemüht sich ebenfalls. Ich habe dort an einer Beratung mit ausgewählten Präsidiumsmitgliedern des Landesturnverbandes teilgenommen und anschließend Gespräche mit Trainern in Kiel geführt. Kiel verfügt über sehr gute Voraussetzungen! Ich glaube, hier tut sich auch bald etwas. Bleibt also nur noch Hamburg übrig. Vielleicht gelingt es mit Hilfe des Verbandes für Turnen und Freizeit Hamburg in dem dortigen Leistungszentrum für Gerätturnen eine Turn- Talentschule einzurichten.

Die Vereinigung aller vier olympischen Sportarten in einer Turn-Talentschule beschreiben Sie als Idealfall. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass in den meisten Einrichtungen nur eine Spezialisierung möglich ist?
Idealfall deshalb, weil in einer Einrichtung mit mehreren Sportarten nur eine Leitung notwendig ist. Die Sichtung von geeigneten Talenten könnte gemeinsam durchgeführt werden. In der ersten Ausbildungsstufe könnten die Trainer teilweise sportartübergreifend arbeiten. Bei Fortbildung und Erfahrungsaustausch gibt es Gemeinsamkeiten. Voraussetzung und möglicherweise größtes Hindernis für einen solchen Idealfall ist das Fehlen einer geeigneten Sportstätte, in der die vier Turnsportarten ungehindert nebeneinander die einheitlichen Qualitätsstandards erfüllen können. Also, es wäre zweckmäßig, wenn in einem Zentrum mehrere Sportarten trainieren. Es ist aber nicht Pflicht.

Die Verleihung des Prädikates „DTB-Turn-Talentschule“ ist an Formalitäten geknüpft. Dies sind jedoch nur Rahmenbedingungen. Wie wird künftig die Qualität der Arbeit sichergestellt?
Alle lizenzierten Trainer, die in diesem Prozess eingebunden sind, haben sich für die Erziehung und Ausbildung der ihnen anvertrauten Kinder, nach den Richtlinien der jeweils gültigen Rahmentrainingspläne des Deutschen Turner-Bundes, verpflichtet. Also alle arbeiten nach einheitlichen Qualitätsstandards.
Alle Trainer der Turn-Talentschulen unterziehen sich neben regionalen Maßnahmen mindestens einmal im Jahr einer zentralern Fortbildung. Besonders von der fachlichen Kompetenz der in diesem Prozess mitwirkenden Trainer ist es abhängig, ob und wie schnell das gesamte Projekt zum Erfolg führt.
Für die Turn-Talentschulen wurde ein zentraler Wettbewerb geschaffen - „Der DTB-Turntalentschul-Pokal“. Im Ergebnis dieses Wettbewerbes sollen die besten Turn-Talentschulen Deutschlands und gleichzeitig auch die besten Trainer ermittelt werden. Die Wettkampfinhalte des Pokals sind Grundlage der Rahmentrainingspläne, um zu prüfen, mit welcher Qualität diese Pläne umgesetzt werden. Wir sind außerdem bemüht, mit Universitäten Vereinbarungen abzuschließen, die diesen Prozess wissenschaftlich begleiten. Die dadurch gewonnenen Untersuchungsergebnisse sollen unmittelbar danach in die Trainerfortbildung einfließen.

An welchen Stellen hapert es noch?
Aus meiner Sicht gibt es noch eine ganze Reihe von Aufgaben, die gelöst werden müssen, um aus dem „Olympischen Spitzensportkonzept 2012“ ein gut funktionierendes System zu machen. Ohne auf alle Dinge einzugehen, fange ich zunächst bei dem Einfachsten an. Zu den olympischen Sportarten, die im DTB gefördert werden, gehören neben dem Gerätturnen männlich und weiblich, noch die Rhythmische Sportgymnastik und das Trampolinturnen. Im Trampolinturnen gibt es z. Z. nur zwei Turn-Talentschulen und in der RSG sieben. Das reicht noch nicht aus, um geeigneten Nachwuchs für spätere Erfolge in den beiden Sportarten zu entwickeln. Hier besteht also Nachholbedarf.

Flächendeckende Einrichtungen von Turn-Talentschulen bedeutet auch, dass große Flächenländer, wie beispielsweise Hessen, mehr solche Schulen einrichten müssten als kleinere Länder. Ich glaube es macht Sinn, noch einmal über Verantwortlichkeiten in der Steuerung des Leistungssports nachzudenken. Es besteht ein großer Bedarf an Koordination zwischen allen ehren- und hauptamtlichen Führungskräften, die sich im Leistungssport engagieren. Das gilt sowohl für die Bundesebene im DTB als auch für die Zusammenarbeit mit den Landesturnverbänden.

Alle weiteren Dinge, die vorrangig mit „Geld“ zusammenhängen, gestalten sich komplizierter. Entweder fehlen noch Zuwendungsbescheide oder manches lässt sich erst nach den Olympischen Spielen 2008 realisieren. Ich denke hier vorrangig an die Evaluierung des Projektes „Turn-Talentschulen“ oder an die Vollfinanzierung von Bundeschef- und Bundesnachwuchstrainern im Gerätturnen weiblich und in der RSG durch den DTB.

Anhand welcher Maßstäbe bewerten Sie den Erfolg oder Nicht-Erfolg des Projektes?
Es gibt mehrere praxisbezogene Kriterien von denen man ableiten kann, ob sich der ganze Aufwand lohnt bzw. ob das Projekt erfolgreich oder nicht erfolgreich verläuft. Ich möchte hier nur einige nennen: Durch eine zielgerichtete Sichtung und Auswahl von talentierten Kindern für die olympischen Turnsportarten und durch eine versierte Grundlagenausbildung muss es gelingen, die Startplätze bei Deutschen Jugendmeisterschaften entsprechend den Vorgaben auszulasten. Bei den diesjährigen Jugendmeisterschaften im Gerätturnen weiblich gab es beispielsweise in der Altersklasse 12 nur 21 Teilnehmerinnen, in der AK 13 nur 14 und in der AK 15/16 nur 23 Teilnehmerinnen.
Bei den Jungen waren es in der Altersklasse 12 nur 16 und in der Altersklasse 15/16 nur 18 Teilnehmer. Wenn man bedenkt, dass bis zur absoluten Weltspitzenleistung noch viele Hindernisse zu bewältigen sind und von der o. g. Anzahl aus diesem Grund noch eine Reihe von Athletinnen und Athleten ausscheiden, dann wird deutlich, dass ein wichtiges Kriterium die Erhöhung der Quantität ist.

Neben der Quantität geht es um die Anhebung der Qualität. Die in den Rahmentrainingsplänen und Wettkampfprogrammen fixierten Anforderungen müssen mit einer deutlich verbesserten Qualität angeboten werden.
Das Abgabeprinzip muss funktionieren. Geeignete Talente aus den Turn-Talentschulen müssen nach Absolvierung der dritten Ausbildungsstufe ohne Vorbehalte unverzüglich an ein DTB-Zentrum abgegeben werden.
Mittel- und langfristig betrachtet, muss das System zu mehr Medaillen bei Europa- und Weltmeisterschaften sowie bei Olympischen Spielen führen. Gelingt das nicht, dann ist das Projekt gescheitert.

Vielen Dank für das Interview.