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Sprossenwand - Magazin im DTB

"Jeder Athlet hat eine Selbstverantwortung"

05.03.2008 12:12

Interview mit Dr. Michel Léglise

Das letzte Jahr war von Doping-Affären gezeichnet, die dem gesamten Sportimage schweren Schaden zufügten. Wie alle internationalen Verbände, hat die FIG den Code der Weltagentur zur Dopingbekämpfung (WADA) genehmigt und unterzeichnet. Im Interview nimmt Dr. Michel Léglise, Präsident der medizinischen Kommission der FIG, dazu Stellung.

Michel Léglise, Sie sagten bereits 1998 dass Turnen und Doping nicht zueinander passen. Als Präsident der medizinischen Kommission und offizieller Arzt der FIG können Sie uns sagen, ob und in welchem Mass heute das Turnen und die Gymnastik vom Doping betroffen sind?

Michel Léglise: Falls ein böser Geist mich heute überzeugen könnte ihm ein Rezept zu liefern (Schande über mich!) wie man im Turnen dopen kann, würde es mir äusserst schwer fallen ihm Zutaten zu nennen, dies obwohl ich ein fundiertes Wissen in der Biologie und in Pharmakologie besitze.

Etwas verzerrt gesagt, kenne ich kein Mittel welches einem Turner ermöglicht in der Luft 3 statt 2 1/1-Drehungen auszuführen. Gewiss, man könnte dazu verführt werden Anabolika einzunehmen um die Muskelmasse zu entwickeln, aber die Entwicklung der spezifischen Kraft-Eigenschaften, welche sich oft für das moderne Turnen eher kontraproduktiv auswirken, die Geschwindigkeit, der Schwung, die pure Kraft sind heutzutage keine bezeichnende Elemente des aktuellen Turnens.

Wie wird in der FIG das Gebiet der Anti-Dopingkontrollen gehandhabt?

Gemäss den internationalen Regeln der WADA-UNESCO ist die FIG verpflichtet, die bei ihren verschiedenen Meisterschaften (Weltmeisterschaften, Weltcups,  Turniere usw.) und diejenigen ihrer kontinentalen Unionen durchgeführten  Dopingkontrollen direkt zu überwachen. Das gleiche gilt für die von der WADA  ausserhalb der Wettkämpfe bei den Spitzensportlern durchgeführten  Dopingkontrollen. Die FIG ist ebenfalls verpflichtet zu überwachen dass alle  Dopingkontrollen die in ihren Mitgliedsverbänden durchgeführt und als positiv befunden wurden, dies ungeachtet des Niveaus der Turner/innen,  disziplinarisch gemäss den FIG/WADA-Regeln behandelt werden. Kurz gesagt,  alle Ergebnisse der durch die WADA akkreditierten Laboratorien weltweit  durchgeführten Analysen gelangen an die FIG, ob es sich dabei um  durchgeführte Kontrollen während oder ausserhalb der Wettkämpfe handelt.

Dies bedeutet, dass die FIG Einsicht und Kenntnis über alle Ergebnisse  (mehrere Tausend) der Jahr für Jahr weltweit durchgeführten Kontrollen hat.

Welche Art verbotene Produkte könnte man im Turnen finden?

Wir besitzen eine komplette Liste der verbotenen Substanzen welche imJahr  2007 gefunden wurden. Dies betrifft 0,2% der Kontrollen, d.h. eine wirklich sehr geringe Zahl, welche acht positiven Kontrollen entspricht. Bei dieser Zahl  handelt es sich zudem um untergeordnete Produkte, d.h. es wurde kein  hormonelles Anabolikum gefunden. In 95% der Fälle handelte es sich um:

  • Furosemid, ein Diuretikum (harntreibendes Mittel), welches ausschließlich bei Frauen gefunden wurde
  • Haschisch (Cannabis).

Furosemid ist ein Diuretikum welches  zum Beispiel verwendet werden kann um eine Substanz wie Anabolika zu verdecken. Man weiss aber dass dieses  Produkt im Turnen und in der Gymnastik verwendet wird um etwas Gewicht zu   verlieren da es wassertreibend wirkt (dabei ist dies medizinisch gesehen keine  zufrieden stellende Methode). Es scheint dass bei den behandelten Fällen kein  wirklicher Wille zum Doping bestand; jedoch sehen die WADA-Regeln eine  Suspendierung von zwei Jahren vor (siehe auch unter www.fig-gymnastics.com  Bericht M. Léglise über Furosemid) Betreffend Haschisch-Konsum, handelt  es   sich eher um ein Gesellschafts-Problem welches die Jugend berührt und zu  verurteilen ist, auch aus gesundheitlichen Gründen. Gewiss, man kann auch  gelegentlich Produkte finden die zur Behandlung von Asthma benützt werden.  In diesen Fällen konnten die betroffenen Turner/innen die notwendige  Einnahme dieses Produktes anhand von durchgeführten Tests medizinisch nachweisen (Zulassung für therapeutische Zwecke). 

Wo befindet sich das Turnen auf der Skala der „verseuchten“ Sportarten?

Die WADA publiziert jedes Jahr die Liste der positiven Kontrollen sowie die  Namen der gefundenen verbotenen Produkte nach Sportarten. Das Turnen  befindet sich auf der untersten Stufe dieser Tabelle. Diese eher positive Bilanz  ändert nichts an der steten Wachsamkeit der FIG betreffend der Einhaltung der  WADARegeln, dies im Zeichen der Solidarität zu den anderen Sportarten und vor allem deshalb, weil der grenzenlose Einfallsreichtum der Betrüger immer  wieder neue Substanzen produzieren kann.

Besteht die Gefahr dass Athleten sozusagen in eine « Falle » geraten können?

Ein Artikel des WADA-Codes sagt aus, dass jeder Athlet für die in seinen  Körper  zugeführten Produkte und welche in seinem Organismus gefunden wurden verantwortlich ist. Im Falle eines positiven Ergebnisses bei einer Doping-Kontrolle kann man sich eine bedeutsame Frage stellen: befindet man  sich im Falle einer festen Absicht dieses Produkt zu benutzen um zu dopen? Die Analyse ergibt nur  ein einfaches, objektives Resultat und lässt nicht die   geringste Interpretation zu ob der Athlet dopen wollte oder nicht.

Der WADA-Code und die FIG/WADARegeln erlauben zwar eine gewisse Flexibilität und sehen etwas angepasste Sanktionen für mildernde (beschwerende) Umstände vor. Dies aber in sehr begrenzten Limiten und nur  für ausserordentliche Fälle wo der Beweis, dass keine Wille zum Betrug vorherrschte, klar erwiesen ist. Dies zu beweisen ist keine einfache Sache und die Betrüger, das weiss man, sind sehr einfallsreich und können die Disziplinar-Behörden hintergehenDazu kommt, dass wenn auch kein Wille zum Doping  bestand, (z.B. bei Nachlässigkeit oder Unkenntnis der Regeln) dies nur als mildernder Umstand gelten kann aber keinesfalls verhindert, eine Sanktion auszusprechen.

Könnte man die Einnahme von verbotenen Substanzen mit einer anderen Form des Betruges vergleichen, wie z.B. manipulierte Resultate?

Man weiss ja der Wettkampf erweckt auch die Versuchung nach Betrug. Diese  Versuchung drückt sich auf verschiedene Arten aus, unter anderem durch parteiische Wertung, Doping usw. – Mogeleien welche die FIG aus Gründen der  Moral, der Ethik und der Gesundheit nicht akzeptieren kann.

Interview: Danielle Duchoud/UEG