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Sprossenwand - Magazin im DTB
Präzisionsorientieren (Trail-O) | Bildquelle: Krešo Keresteš

 

Die Sportart Trail-O

Inklusion und Orientierungssport

Vom Orientierungssport ist in Deutschland - wenn überhaupt - in aller Regel bestenfalls der Orientierungslauf bekannt. Mit Karte und Kompass über Stock und Stein, quer durch den Wald, durch Dickichte, Sümpfe, über Felsen, Steine und Wurzeln - für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ist diese Sportart nur schwer bis überhaupt nicht ausübbar. Auch die beiden weiteren traditionellen Orientierungssportarten, der Ski-Orientierungslauf und das Mountainbike-Orienteering, bringen hohe Hürden für körperlich beeinträchtigte Menschen mit sich. Daher hat der Orientierungssport-Weltverband, die International Orienteering Federation (IOF), bereits in den 1990er Jahren nachgedacht, wie man den Orientierungssport auch für Menschen mit Behinderung öffnen kann. Die Sportart Trail-O ("Trail Orienteering") oder besser das Präzisionsorientieren war geboren.

Das besondere am Präzisionsorientieren ist, dass es keine spezielle Sportart für Menschen mit Behinderung ist, sondern eine Sportart für Athletinnen und Athleten mit oder ohne Beeinträchtigung, die miteinander in den sportlichen Wettstreit treten können - wahre Inklusion also.

Wie also funktioniert Trail-O?

Gegenüber den anderen drei Orientierungssportarten wird beim Trail-O die Komponente der schnellen Fortbewegung ausgeklammert, die Sportart fokussiert sich einzig und allein auf das präzise Kartenlesen. Verwendet werden die gleichen Karten nach internationaler Norm wie auch beim Orientierungslauf. Die Athletinnen und Athleten bewegen sich während eines Trail-O-Wettkampfes entlang eines befestigten oder unbefestigten, aber stets barrierefreien Weges, der nicht verlassen werden darf (daher die Bezeichnung "Trail Orienteering"). Für schlechtere Passagen oder kurze steilere Anstiege stehen meist Anschieber*innen zur Verfügung, die Rollstuhlfahrer*innen helfen, diese Abschnitte zu meistern.

Vom Weg aus müssen an mehreren Stellen von einem so genannten Entscheidungspunkt aus Orientierungsaufgaben im Gelände gelöst werden. Zu sehen sind bis zu fünf orange-weiße Postenschirme, wie man sie auch vom Orientierungslauf kennt. Beim Trail-O werden diese allerdings nicht direkt angelaufen, sondern nur vom Weg aus betrachtet. Die Athletin oder der Athlet hat eine Karte, auf der ein Posten markiert ist. Nun gilt es zu entscheiden, welche der Postenmarkierungen dem auf der Karte eingezeichneten Standort entspricht, oder ob eventuell sogar keiner von ihnen dort platziert ist.


Die sichtbaren Posten werden von links nach rechts mit den Buchstaben des internationalen phonetischen Alphabets durchnummeriert: A (Alpha), B (Bravo), C (Charlie), D (Delta), E (Echo). Ist kein Posten korrekt, lautet die Antwort Z (Zero). Die Antwort wird durch Lochen eines entsprechenden Feldes auf einer Kontrollkarte gegeben, bevor man zur nächsten Aufgabe weitergeht. Die benötigte Zeit ist nur insoweit entscheidend, als dass es eine i.d.R. großzügig bemessene Maximalzeit für den gesamten Parcours gibt. Bleibt man darunter, ist die Geschwindigkeit, in der die Aufgaben gelöst werden, nicht relevant. Es kommt einzig und allein auf das richtige Lösen der Aufgaben an. Für jede korrekte Antwort gibt es einen Punkt. Sieger*in ist, wer davon am meisten sammelt.


Bei gleicher PreO-Punktzahl – Zeitkontrolle

Wettkämpfer beim PreO | Bildquelle: Anne Straube

Um eine Platzierungsreihenfolge bei gleicher Punktzahl ermitteln zu können, gibt es bei diesen Wettkämpfen in der so genannten Disziplin "PreO" noch mindestens eine so genannte "Zeitkontrolle". Hier müssen drei Aufgaben mit sechs Posten ("Alpha" bis "Foxtrot") im Sitzen unmittelbar hintereinander auf Zeit gelöst werden, wobei man erst mit dem Start der Stoppuhr die erste Karte betrachten darf. Es zählt die benötigte Zeit, zuzüglich 60 Strafsekunden für jeden Fehler, der bei der Zeitkontrolle gemacht wurde. Auch diese Teildisziplin ist unabhängig von körperlicher Beeinträchtigung absolvierbar. Athlet*innen im Rollstuhl können an die Stelle fahren, an der für alle anderen Athlet*innen ein Stuhl platziert wird, damit sie alle die gleiche Blickperspektive ins Gelände haben.


Hochgeschwindigkeitsorientieren - TempO

Aus diesen Zeitkontrollen hat sich Anfang der 2000er Jahre eine weitere Trail-O-Disziplin entwickelt, der so genannte "TempO", das Hochgeschwindigkeitsorientieren. Diese Disziplin besteht ausschließlich aus Zeitkontrollen, die hier TempO-Stationen genannt werden. Bei jeder TempO-Station sind fünf Aufgaben hintereinander weg im Sitzen unter Zeitdruck zu lösen, pro Fehler gibt es 30 Strafsekunden. Hier wird somit schnelles und präzises Kartenlesen gleichermaßen abverlangt.

Während der ersten Monate der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 sind in der TempO-Disziplin zahlreiche Online-Wettbewerbe entstanden, wo mit einem Geländefoto und entsprechend nacheinander eingeblendeten Kartenausschnitten die Abläufe realitätsnah absolviert werden können. Regelmäßig nehmen seither rund 400 bis 1.000 Teilnehmer*innen aus aller Welt an diesen virtuellen Wettkämpfen teil, um sich untereinander zu messen. Sie bieten eine hervorragende Möglichkeit für jedermann, um den Trail-O-Sport vom heimischen Computer aus kennenzulernen und mehr Interesse auch für Teilnahme an Wettkämpfe im Gelände zu wecken. Auch aktive Orientierungsläufer*innen nutzen diese für wirklich alle offene Chance als Trainingsmöglichkeit für ihre Wettkämpfe.


Meisterschaften und Wettkämpfe

Weltmeisterin Jana Kost'ová | Bildquelle: Anne Straube

Im Trail-O gibt es Welt- und Europameisterschaften, bei denen in der Regel die Teilnehmenden aus Skandinavien, aber auch aus Mitteleuropa zu den stärksten Athlet*innen zählen. Im PreO wird zwischen einer offenen Kategorie und einer P-Kategorie "physically challenged" unterschieden, die unterschiedliche Maximalzeiten besitzen, im TempO gibt es nur ein einziges Klassement für alle Teilnehmenden. Auch nach Geschlechtern wird beim Trail-O nicht unterschieden. Neben PreO und TempO gibt es als dritte Disziplin noch einen Staffelwettbewerb für Dreierteams. Die deutschen Präzisionsorientierer*innen sind zwar nicht sehr zahlreich, gehören aber zur erweiterten Weltspitze. Anne Straube wurde 2008 Weltmeisterin im PreO sowie 2002 bereits Vize-Europameisterin in der gleichen Disziplin. Bei den letzten Welt- und Europameisterschaften landete die deutsche Staffel jeweils auf einem starken fünften Platz. Über Athlet*innen in der P-Kategorie verfügt Deutschland aktuell leider nicht. Anders als noch vor ein paar Jahren gibt es jedoch in Deutschland mittlerweile immerhin ein paar Veranstaltungen. Zwei bis drei Trail-O-Wettbewerbe stehen jährlich im Kalender, Tendenz steigend. Erfreulich zahlreich sind hingegen die Online-Wettbewerbe, bei denen teils mehr als 100 deutsche Teilnehmende an den Start gehen.


Wer also Lust bekommen hat, die inklusive Präzisionssportart Trail-O einmal auszuprobieren, kann sich an einem der Online-Wettbewerbe im so genannten TempO-Simulator versuchen - ganz ohne Login und kostenfrei. Wer Gefallen daran gefunden hat, sollte die Möglichkeit nutzen, an einem Wettbewerb im In- oder benachbarten Ausland teilzunehmen und so viele Gleichgesinnte kennenzulernen, denen der gemeinsame sportliche Vergleich von Menschen mit und ohne Behinderung am Herzen liegt.

Der Autor Ralph Körner (li.) ist Verantwortlicher für Präzisionsorientieren im Technischen Komitee Orientierungssport des DTB und gleichzeitig einer der besten Trail-O-Athleten Deutschlands in der offenen Kategorie sowie Mitglied des Trail-O-Bundeskaders.

Ralph Körner