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Sprossenwand - Magazin im DTB

Herausforderung "Duale Karriere": Spitzensportler und zugleich Student

06.05.2008 11:08

Thema des Monats:

Spitzensport und Studium unter einen Hut zu bringen ist nicht einfach. Deutschlands derzeit erfolgreichster Trampolinturner Henrik Stehlik beweist, dass er beides gut miteinander vereinbaren kann. Der Hintergrundbericht im Monat Mai beleuchtet näher Stehliks Situation.

Wenn Henrik Stehlik - wie in der vergangenen Woche bei den Trampolin-Europameisterschaften im dänischen Odense - einen Wettkampf bestreitet, dann kreisen seine Gedanken ausschließlich um perfekte Darbietungen auf dem Tuch. Der 27-Jährige hat die Begabung, sich ausschließlich auf die jeweils aktuelle Sache konzentrieren und Gedanken an andere Dinge für den Augenblick ausblenden zu können. Nicht zuletzt dieser Fähigkeit hat es der Olympia-Dritte von 2004 im Einzel zu verdanken, dass er seit Jahren einer der erfolgreichsten Trampolinturner Deutschlands ist - und gleichzeitig sein anspruchsvolles Studium der Politikwissenschaften (Hauptfach), Geschichte und Literaturwissenschaften (Nebenfächer) soweit vorantreiben konnte, dass er mittlerweile seit einigen Monaten scheinfrei ist, und es in der nächsten Zeit "nur noch" darum geht, die Magisterarbeit zu beginnen und sich auf die Abschlussprüfungen vorzubereiten.

Henrik Stehlik hat sich für eine "Duale Karriere" entschieden: Einerseits beabsichtigte er nach dem Abitur, sich im Leistungssport weiterzuentwickeln, andererseits wollte er seine berufliche Karriere in Angriff nehmen. Eine große Herausforderung, die der Niedersachse in beiden Bereichen hervorragend bewältigt. Allerdings war und ist dies keineswegs immer leicht. An seinen Tagesablauf in besonders "heftigen" Phasen, speziell zu Beginn des Studiums, erinnert sich der WM-Fünfte im Einzel von 2007 deshalb sehr gut: Um 5.15 Uhr klingelte der Wecker, eine Stunde später ging der Zug in Richtung Hannover. Um 8.00 Uhr stand in der Leibniz Universität die erste Vorlesung auf dem Programm, zuhause war der Student teilweise erst wieder gegen 19.30/20.00 Uhr. Und danach folgten noch jeweils zwei Stunden Training. Drei bis vier Tage pro Woche liefen bei Henrik Stehlik nach diesem Muster ab, am Wochenende kamen Lehrgänge oder Wettkämpfe hinzu. Mitunter hatte der Sportler, der 1988 mit dem Trampolinturnen begann, bei Wettkämpfen oder Lehrgängen auch Lernstoff im Gepäck, wenn eine wichtige Prüfung bevorstand. Meistens jedoch verfuhr Stehlik nach dem Prinzip, Studium und Leistungssport in Phasen aufzuteilen: Einmal hatte das Studium "Vorfahrt", dann wiederum standen wichtige Wettkämpfe an, und der Sport genoss Priorität.

Abwechslung und Doppelbelastung

Aktuell befindet sich der 27-Jährige im 12. Semester, der Abschluss rückt in nahe Ferne. "Ich denke schon, dass ich für mein Studium aufgrund des Leistungssports etwas mehr Zeit benötigt habe als ich ohne benötigt hätte - gerade vor dem Hintergrund, dass ich an den Olympischen Spielen 2004 in Athen teilgenommen habe und jetzt die Vorbereitungen auf Peking laufen. Unter anderen Umständen wäre ich sicherlich schneller gewesen", sagt Stehlik, verweist aber zugleich auf die zahlreichen positiven Erfahrungen, die der Leistungssport ihm geboten hat und noch immer verschafft: "Mich hat es immer schon begeistert Sport zu treiben und meine körperlichen Potenziale auszuschöpfen. Gleichzeitig bietet mir der Sport die Möglichkeit, eine Gegenwelt zum Studium zu schaffen, welches vom Kopf, von der Konzentration her, ebenso viel fordert." Positiv hebt der Top-Athlet zudem die Tatsache hervor, dass der Sport mit Begegnungen, Freundschaften und Reisen verbunden ist.

Auch wenn der Sport eine Abwechslung zum Studium darstellt und umgekehrt, so bedeutet diese Art der Lebensplanung natürlich stets eine Doppelbelastung. Immer wieder mal kam Henrik Stehlik in Situationen, in denen er zunächst nicht wusste, wie er Studium und Leistungssport so vereinbaren sollte, dass er in beiden Bereichen seine gesteckten Ziele würde erreichen können. Dies sei speziell in der Zeit der Fall gewesen, als er vor Beginn seines politikwissenschaftlichen Studiums zwei Semester Rechtswissenschaften an der Universität von Bielefeld studiert und am dortigen Stützpunkt trainiert habe, erläutert Stehlik. "Mit der Pendelei zwischen Hannover und Salzgitter ist es auch alles andere als einfach, aber damals war es noch schwieriger, das Training mit dem Studium zu verbinden", sagt der Trampolinspringer. Er betont aber, dass er das Jura-Studium nicht aus diesem Grund, sondern aus inhaltlichen aufgegeben habe. In jener Zeit habe es Strecken gegeben, in denen er sich nicht sicher war, ob er diese "Duale Karriere" würde fortführen können, erläutert Stehlik. Heute ist der mehrmalige Europameister (Synchron und Mannschaft) sehr froh, dass er sich für eine Fortsetzung von Sport und Studium entschieden hat. Die Uni Hannover ist zwar ca. 70 km von seinem Wohnort Salzgitter, in dem sich auch der Bundesstützpunkt Trampolinturnen befindet, an dem der 27-Jährige trainiert, entfernt. Jedoch schätzt Stehlik es sehr, in seinem gewohnten Umfeld zu wohnen.

Notwendigkeit einer Berufsausbildung

Speziell in Sportarten wie dem Trampolinturnen, die mit geringer Medienpräsenz und vergleichsweise geringem Interesse von Seiten von Sponsoren zu kämpfen haben und entsprechend den in ihnen aktiven AthletInnen nicht die Möglichkeit bieten, bereits während ihrer aktiven Laufbahn eine solide finanzielle Basis für die Zeit nach dem Karriereende zu schaffen, ist es unbedingt notwendig, dass sich die Sportler/innen Gedanken über ihren beruflichen Lebensweg machen. "Alle Leistungssportler in unserem Verband sind darauf angewiesen und werden es immer sein, für ihr Leben nach dem Karriereende vorzusorgen. Irgendwann wird jeder in seinen erlernten Beruf einsteigen müssen", bestätigt DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam.

Die Institutionen, die sich mit dem Thema "Duale Karriere" beschäftigen, werden immer zahlreicher. "Das ist aus Athletensicht eines der wichtigsten sportpolitischen Themen. Schließlich ist das Thema "Vereinbarkeit von Spitzensport und Ausbildung/Studium" kein nebensächliches mehr. Vielmehr müssen diese ganz zentralen Fragen für die Lebensplanung genauso mit berücksichtigt werden wie z. B. die Anzahl der Trainingsstunden und Einheiten im Fitnessstudio", sagt Stehlik. In erster Linie Laufbahnberater und Trainer besprechen mit den AthletInnen die individuelle Situation und die jeweiligen Perspektiven und bieten somit eine gute Unterstützung.

"Der DTB begrüßt diese Initiative, die ja durch den DOSB eingeleitet wurde, sehr und vertraut auf das System der Olympiastützpunkte und der darin integrierten Laufbahnberater. Das Problem für die Spitzenverbände besteht darin, dass eine individuelle Betreuung von Seiten des Spitzenverbandes nicht gesteuert werden kann", sagt Wolfgang Willam.

Entschädigungen für Entbehrungen

Für Trampolinturner Henrik Stehlik ist neben Beratern, Trainern und anderen Ansprechpartnern im Zusammenhang mit der "Dualen Karriere" insbesondere das persönliche Umfeld - vor allem die Familie - sehr wichtig. Zudem kann sich der Leistungssportler über einen Freundeskreis glücklich schätzen, der für seine Situation viel Verständnis aufbringt. Denn Zeit für Freizeit - oder gar Urlaub - bleibt dem 27-Jährigen kaum, Entbehrungen müssen in Kauf genommen werden. Aber: "Für mich hätte es zu dieser Lebensplanung keine Alternative gegeben. Ich hätte weder auf den Sport noch auf das Studium verzichten wollen und bin froh, dass ich beides gut verbinden konnte. Ich wünsche mir, dass das auch so bleibt - und die Rahmenbedingungen noch besser werden", sagt der Turner und fügt hinzu: "Und wenn man durch den Sport z. B. die Gelegenheit erhält, sich berühmte Denkmäler anzusehen und mit fremden Kulturen in Berührung zu kommen, entschädigt das für Vieles, auf das man verzichten muss." Das sieht auch Wolfgang Willam so: "Die Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf sind durch den Leistungssport nach hinten verlagert. Während andere schon eine Familie gründen oder ein Häuschen bauen, sind viele unserer Leistungssportler noch aktiv und haben ein geringes Einkommen. Andererseits kann man sich, wenn man möglicherweise sogar Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaften gewonnen hat, diese Erfolge auch nicht kaufen."

Gestiegene Anforderungen

Seit der Integration des Trampolinturnens ins olympische Programm im Jahr 2000 (Sydney) hat sich die Sportart rasant weiterentwickelt. Die Folge: Anforderungen und internationale Konkurrenz haben sich erhöht. "Damit steigen die Anforderungen an professionelles Training, an die Umfänge und Inhalte. Und damit stellt sich dann auch verstärkt die Frage, wie man das alles mit persönlichen Zielen für das private, soziale und berufliche Leben verbinden kann", erläutert Henrik Stehlik. Er persönlich profitiere von der "Dualen Karriere" sehr, meint der vielmalige Deutsche Meister (Einzel und Synchron). Sie helfe dabei, seine Perspektiven weiterzuentwickeln und "das Leben nach dem Sport" gut vorzubereiten. Und auch während der sportlichen Karriere gebe es die beschriebenen, zahlreichen positiven Wechselwirkungen. Speziell jungen Sportlerinnen und Sportlern, die Abwechslung, Vielseitigkeit und geistige Herausforderungen benötigen, würde der erfolgreiche Athlet stets eine „Duale Karriere“ empfehlen. Diese ist im Übrigen nicht auf die Kombination von Sport und Studium beschränkt, sondern es bieten sich auch vielfältige andere Möglichkeiten.

Im Moment hat der Leistungssport für den 27-Jährigen Priorität. Im Wintersemester 2007/2008 legte Stehlik ein Urlaubssemester ein, um sich komplett auf die Olympia-Vorbereitung konzentrieren zu können. Bei der EM sicherte sich der Trampolinturner dann auch das begehrte "Ticket". Die Anmeldung zur Magisterarbeit wird der angehende Politikwissenschaftler nun zeitlich noch etwas nach hinten verlagern. Schließlich stehen für Peking unter anderem viele Trainingslager und Lehrgänge, auch im Ausland, an.

"Partnerhochschule des Spitzensports"

An seiner Uni erfuhr Stehlik bislang stets gute Unterstützung, wenn es darum ging, z. B. eine Verlängerung für Bearbeitungszeiten von Hausarbeiten zu erhalten. Die Leibniz Universität zählt zu den mehr als 70 "Partnerhochschulen des Spitzensports" in Deutschland. Das vom Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband (adh) initiierte Projekt "Partnerhochschule des Spitzensports" hat das Ziel, studierende KaderathletInnen an den Mitgliedshochschulen zu fördern. Kooperationsvereinbarungen helfen dabei, dass die studierenden Sportler/innen ihre akademische Ausbildung trotz der hohen Belastungen des Spitzensports erfolgreich bewältigen können. "Die Kooperationen sind bereits sehr gut. Ich wünsche mir allerdings, dass dieses Thema noch breiter angegangen wird", sagt Stehlik.

Spitzensport und Studium "verschlingen" jeweils hohe Summen. Beides in Kombination stellt eine doppelte finanzielle Belastung für den Einzelnen dar - speziell vor dem Hintergrund der Einführung von Studiengebühren bzw. von Gebühren für Langzeitstudierende. Wie viele andere KaderathletInnen hierzulande erfährt auch Stehlik große Unterstützung von der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Dies geschieht nicht nur in materieller Hinsicht, sondern auch in ideeller (z. B. Schulungen zum Umgang mit Medien, Bildungsangebote). "Der Sport bringt uns nicht so viel ein, dass wir finanziell völlig unabhängig werden. Insofern ist die Förderung der Sporthilfe ein sehr wichtiger Bestandteil", erläutert der Trampolinturner. Zusätzlich wird dem Sportler eine regionale Förderung (Toto Lotto Niedersachsen) zuteil. In Bezug auf sein Studium ist Stehlik einer der Glücklichen, die dieses über ein Stipendium finanzieren können.

Konkrete Pläne für die Zeit nach erfolgtem Studienabschluss hat der 27-Jährige noch nicht. Vorstellen könnte er sich einen Verbleib an der Uni, z. B. als wissenschaftlicher Mitarbeiter, möglicherweise in Kombination mit einer Promotion. Dem Sport und dem Trampolinturnen möchte der World-Games-Sieger von 2005 auch nach dem Ende seiner aktiven Karriere in irgendeiner Form verbunden bleiben, z. B. über ehrenamtliche Tätigkeiten, die er schon heute ausübt. Fest steht in jedem Fall, dass Stehlik parallel zur Ausübung seines Leistungssports die Grundlagen für eine spätere berufliche Karriere legt somit beruhigt in die Zukunft blicken kann.

Claudia Pauli