Jetzt lesen:
Sprossenwand - Magazin im DTB

Team Gerätturnen

'Ich wusste, dass nach Hochs auch immer Tiefs kommen'

29.07.2019 19:12

Sophie Scheder im Portrait.

Sophie Scheder | Bildquelle: Cheng
Sophie Scheder | Bildquelle: Cheng

Ihre Körpergröße hat Sophie Scheder nie als Nachteil gesehen. Zwar hat sie es mit ihren 1,67 Metern nicht leicht bei ihrer Leidenschaft. Dafür wirkt das, was sie zeigt, besonders elegant und geradlinig. Gerade an den beiden Holmen, an denen die 23-Jährige das Spiel mit der Schwerkraft hervorragend beherrscht.

Der Stufenbarren ist denn auch das Gerät, an dem die gebürtige Wolfsburgerin am häufigsten und auf internationaler Ebene auch zum ersten Mal aufhorchen ließ. Bei den Junioren-Europameisterschaften 2012 in Brüssel sicherte sie sich dort den Titel. „Ich war das damals ganz ungezwungen angegangen“, erinnert sie sich. Allein schon der Einzug ins Finale sei für sie ein Erfolg gewesen. Als es nach einem erfolgreichen Einspruch wegen der Nicht-Anerkennung eines Elements sogar zum Triumph reichte, sei das für sie „kaum zu realisieren“ gewesen.

Einen guten Schwung hatte Scheder schon früh drauf gehabt. Doch nach ihrem Wechsel mit elf Jahren an das Sportinternat in Chemnitz konnte die dortige Cheftrainerin Gabi Frehse ihr noch viel mehr mitgeben. Ein unglücklicher Umstand begünstigte die Entwicklung. Wegen eines Ödems an der Hüfte konnte die Turnerin ein halbes Jahr lang nur an ihrem Lieblingsgerät trainieren. „Das hat mir sehr geholfen“ und sie so weit nach oben katapultiert, dass sie neben  ihrem Sieg auf nationaler Ebene dort auch bei ihren  ersten großen Meisterschaften bei den Aktiven, den kontinentalen Titelkämpfen 2013 in Moskau und der WM im gleichen Jahr in Antwerpen, jeweils im Barrenfinale stand.

Den größten Moment ihrer bisherigen Karriere erlebte Scheder allerdings bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio. Da schnappte die damalige deutsche Mehrkampfmeisterin Nationalteamkollegin Elisabeth Seitz die Bronzemedaille knapp vor der Nase weg. „Man hat natürlich Träume“, sagt die Drittplatzierte rückblickend. Aber eigentlich seien die Spiele in Tokio 2020 erst diejenigen, bei denen sie ursprünglich mit einer Medaille spekulierte. „Alle waren ein bisschen mehr auf Eli fokussiert.“ Sie selbst habe einfach nur schön turnen wollen. Was dabei herauskam, war „ein gigantisches Gefühl“.

Bei der Siegerehrung erlebte sie noch einen ganz besonderen Moment. Denn während sie auf dem Podest stand, sah sie sich ihren Eltern auf der Tribüne gegenüber. „Ich konnte sie mit diesem Erfolg grüßen“ und ihnen „ein großes Dankeschön“ zurückgeben. Das sei das „i-Tüpfelchen“ an diesem Tag gewesen.

Die Mutter hatte Sophie als Dreijährige gemeinsam mit ihrer drei Jahre alten Schwester zum Kinderturnen gebracht. Dabei wurde „ein gewisses Talent“ entdeckt und der VfL Wolfsburg als weitere Station empfohlen. Dort waren Gerti und Heiner Wilhelm, die Eltern der früheren EM-Dritten am Schwebebalken, Anja Wilhelm, ihre Trainer. Mit neun wurde die Nachwuchsathletin von den Verantwortlichen in Hannover angesprochen. Doch bald schon erschien die tägliche Fahrt zu aufwendig. Der Wechsel in ein Internat wurde in den Blick gefasst, und die Schülerin entschied sich für Chemnitz, weil dort alles nah beieinander lag.

Eigentlich war sie damals noch etwas zu jung für die Sportschule. „Aber ich wollte nicht warten, bis ich zwölf bin.“ Die ersten eineinhalb Jahre seien „heftig“ gewesen. Immer wieder reisten die Eltern an, um sie aufzurichten. Dass sie durchhielt, hat Scheder nie bereut.

2011 erlebte sie beim European Youth Olympic Festival in Trabzon ihr erstes internationales Großereignis mit Team-Bronze und Finalteilnahmen im Mehrkampf und am Barren. Das machte Lust darauf, eine ähnliche Veranstaltung auch bei den Aktiven zu erleben. Das war dann 2015 bei den European Games in Baku erstmals der Fall, wo sie sich bei der Premiere des neuen Multisportevents zweimal Silber mit der Mannschaft und erneut am Barren sicherte.

„Ich wusste, dass nach Hochs auch immer Tiefs kommen“, sagt Scheder heute. Bei ihr war das nach den Spielen 2016 der Fall. Dabei war die erste Pause noch eine geplante. Schon früh plagte sie sich mit Knieproblemen, waren Boden und Sprung „immer mit  Schmerzen verbunden“. Nach der Rückkehr aus Brasilien gönnte sie sich deshalb eine längere Pause. Doch als sie im Januar 2017 wieder mit dem Training begann, tauchten die Probleme erneut auf. Noch mal vier Jahre wollte sie diese nicht aushalten. Der populäre Orthopäde Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt überwies die Sportsoldatin in eine Klinik nach Vail. „Die Patellasehne war zu 70 Prozent kaputt“, erfuhr Scheder. Die Operation bedeutete eine Erleichterung. Doch die Rekonvaleszentin konnte damals nicht ahnen, dass eine Serie von Rückschlägen folgen sollte. Erkrankungen und Verletzungen warfen sie immer wieder zurück, sodass sie erst bei der WM 2018 in Doha wieder im Nationalteam stand.

Auch das Jahr der Heim-WM in Stuttgart sollte kein leichtes werden. Nach erneuten gesundheitlichen Problemen im Frühjahr beeindruckte sie zwar bei den deutschen Meisterschaften Anfang August in Berlin mit einem dritten Platz im Mehrkampf und Silber am Barren. Doch ein Muskelfaserriss ließ Scheder die erste WM-Qualifikation verpassen und auch um den Einsatz bei der zweiten zittern, bei der sie dann jedoch erneut überzeugte.

„Es gab nach jedem Lichtblick wieder Dunkelheit“, sagt sie rückblickend. „Aber ich habe mir gesagt: Nimm das einfach so an. Das gehört zum Leben dazu und prägt dich.“ Gelernt hat sie in den schweren Zeiten des Zurückkämpfens nicht nur, „wie stark man als Mensch ist“. Sondern auch, sich bei dem, was gerade noch geht, so zu engagieren, dass sie fit genug blieb, um schnell wieder auf Topniveau zu kommen. „Ich wollte unbedingt nach Stuttgart“ – sie hat es geschafft.

Die zwangsweise weniger belastenden Phasen hat sie auch dazu genutzt, die A- und B-Trainerlizenz zu erwerben. „Ich kann mir gut vorstellen, im Nebenjob meine Erfahrung weiterzugeben.“ In punkto Fleiß und Wille könnte sie in jedem Bereich ein gutes Vorbild abgeben.